Psychotherapiepraxis Nürnberg, Eckental
Psychotherapie Nürnberg

Samstag, 28 September, 2019

Gefühle verstehen durch Psychotherapie

Gefühle und Psychotherapie

Frage ich jemanden, wie es ihm geht, bekomme ich meistens eine von zwei Antworten: „Gut“ oder „schlecht“. Wenn mir als Therapeut ein Klient gegenüber sitzt, gebe ich mich mit dieser Antwort jedoch meist nicht zufrieden. Ich möchte die Gefühlslage genauer ergründen und ihre Hintergründe verstehen, um weiterhelfen zu können. Doch was sind Gefühle

eigentlich? Warum fühlen wir so, wie wir uns fühlen? Warum fühlen wir überhaupt? Und wie kann man mithilfe eines Psychotherapeuten sein Gefühlsleben verändern? Um diese und ähnliche Fragen soll es in diesem Artikel gehen.

Was sind Gefühle?

Ein Gefühl ist eine Wahrnehmung, die vor allem im Umgang mit anderen Menschen ausgelöst wird. Gefühle werden immer spontan körperlich erlebt, sie gehen mit einer Körperreaktion einher. Außerdem werden sie spontan zum Ausdruck gebracht durch Mimik und Gestik. Wenn Du z.B. ärgerlich bist, dann ballst Du die Fäuste und ziehst Deine Gesichtsmuskeln zusammen, wenn Du traurig bist, dann kommen Dir die Tränen, wenn Du Angst hast, spürst Du, wie sich Dir die Haare sträuben oder wie Deine Knie weich werden.

Wie entstehen Gefühle?

Vereinfacht dargestellt wird ein Sinnesorgan (Ohr, Auge, Haut, etc.) durch einen Sinnesreiz erregt. Diese Erregung wird über Nerven an das Gehirn weitergeleitet und dort innerhalb von Sekundenbruchteilen auf der Basis bereits vorhandener individueller Erfahrungen interpretiert. Was wir dann erleben ist ein Gefühl. Wir werden also nicht automatisch wütend oder freudig erregt, sondern deshalb, weil wir eine Situation auf unsere eigene Art interpretieren. Gefühle sind nach Auffassung von Psychologen somit abhängig von kognitiven Bewertungsprozessen. Eine Situation (z.B. Achterbahnfahren), die den einen z.B. ängstigt, bereitet einem anderen vielleicht Vergnügen.

Welche Funktion haben Gefühle?

Gefühle sind nicht „irrational“ und nicht gegensätzlich zum auf „klarem“ Verstand beruhenden rationalem Denken. Sie basieren immer auf einer in Sekundenbruchteilen ablaufenden subjektiven Einschätzung unserer momentanen Lage unserer Möglichkeiten im sozialen Umfeld. Drei Dimensionen werden anhand der Gefühle unterschieden: gut/böse, stark/schwach, aktiv/passiv. Wenn Du z.B. Angst empfindest, dann deshalb, weil Du Dich einer Situation nicht gewachsen fühlst. Dein Gefühl sagt Dir, dass Dein Gegenüber gefährlich („böse“) ist, Du ihm unterlegen bist („schwach“) und Du lieber weglaufen solltest, weil es nicht schläft („aktiv“). Gefühle haben also eine Orientierungsfunktion.

Außerdem haben Gefühle eine Signal- und Mitteilungsfunktion. Dementsprechend sind Gefühle wichtig, um auf Bedürfnisse aufmerksam zu machen und Beziehungen zu regulieren. Wenn Du z.B. traurig bist und dies durch Weinen ausdrückst, teilst Du den anderen mit, dass Du Trost oder Schutz benötigst. Wenn Du wütend bist, dann machst Du vielleicht deutlich, dass Deine Grenzen überschritten wurden. Durch den Ausdruck von Gefühlen werden so auch die Spielregeln im Miteinander bestimmt.

Warum ist es wichtig zu wissen, wie man sich fühlt?

Durch Deine Gefühle erfährst Du, was Du brauchst, um Dich wohlzufühlen. Anhand des Gefühlsausdrucks teilst Du anderen Menschen Deine Bedürfnisse mit. Indem Deine Mitmenschen auf Deinen Gefühlsaudruck passend reagieren, erhältst Du die Unterstützung von Deinen Mitmenschen. Wir sind von Geburt an soziale Wesen und auf einen Austausch mit anderen angewiesen, um überleben zu können. Die Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und angemessen mitzuteilen ist deshalb sehr wichtig. Schon Neugeborene teilen sich z.B. durch Schreien und Weinen gefühlsmäßig mit, wenn sie Hunger haben, frieren oder sich auf andere Weise unwohl fühlen.

Gefühle mithilfe von Psychotherapie verändern

Ist die Fähigkeit, bestimmte Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken aufgrund bestimmter Erfahrungen verloren gegangen oder nur unzureichend entwickelt, kommt es zu Schwierigkeiten. In der ganzheitlichen Psychotherapie ist es deshalb für manche Menschen ein wichtiger erster Schritt, Gefühle wahrnehmen, annehmen und ausdrücken zu lernen. Welche Gefühle wir empfinden ist eine Frage der Perspektive aus der wir eine Situation betrachten. Deshalb ist es mithilfe eines Psychotherapeuten außerdem möglich, sein Gefühlserleben zu verändern. Für Menschen, die unter übermäßigen Ängsten leiden, ist es zum Beispiel wichtig, zu lernen, in bisher angstbesetzten Situationen zukünftig gelassen zu reagieren. Auf diese Weise lässt sich durch Psychotherapie Stress im Leben reduzieren und ein Burnout verhindern.



3 Kommentare »»

  1. Kommentar von Michaela - 2. Oktober 2019 um 17:50

    Lieber Herr Schramm

    mehrmals habe ich nun Ihren Beitrag über Gefühle auf Ihrem Blog gelesen und ich stimme Ihnen auch in allem was Sie schreiben zu. Was mir fehlt ist, wie ich mit Gefühlen umgehen sollte, wenn diese in ihrer Intensivität nicht im Verhältnis zur Situation stehen.

    Meine eigenen Gefühle sind sehr oft viel zu heftig, dass trifft auf die positiven Gefühle genauso zu, wie auf die negativen Gefühle. Wenn ich mich über etwas freue, dann gerate ich schnell in eine Euphorie und wenn ich vor etwas Angst habe, dann ist es so, als ginge es um mein Leben.

    Für einige sind Gefühle nichts weiter, als eine biochemische Reaktion, welche im Körper stattfindet. Meine Auffassung ist eher, dass Gefühle durch eigene Erfahrungen, durch die Erziehung in der Kindheit, durch die eigene Erwartungshaltung dessen was passieren wird und durch die eigene Bewertung dessen was geschieht.

    Und all diese einzelnen Komponenten spielen sich in einem Bruchteil einer Sekunde ab. Dadurch fällt es mir schwer die notwendige Zeit zu finden um Einfluss auf meine Gefühle zu nehmen.

    Die oben erwähnte Euphorie, welche ich oft empfinde, ist leider auch eine Art Vorbote dafür, dass ich wieder einen Absturz erleben werde.

    Ganz herzliche Grüße,
    Ihre Michaela (Name geändert wegen Datenschutz)


  2. Kommentar von Michael Schramm - 7. Oktober 2019 um 11:24

    Hallo Michaela,

    aus dem, was Sie schreiben, lese ich heraus, dass – um es mit einer Metapher auszudrücken – Ihre Gefühle Sie noch wie ein Segelboot auf stürmischer See hin und her werfen. Es fehlt in den Situationen, an die Sie denken, noch so etwas wie ein stabiler Anker, der Ihnen halt gibt. Das kann vielleicht mit bestimmten Erfahrungen, die Sie gemacht haben, zusammenhängen.

    Vielleicht haben Sie aber auch schon so etwas wie einen stabilen Anker, nur dass sich der Steuermann des Schiffes in manchen Momenten grad noch nicht immer daran denkt.

    Ich denke, ein wichtiger erster Schritt ist, sich in den betreffenden Situationen überhaupt klar zu sein, was in Ihnen vorgeht, welche Gefühle es sind, die sie spüren … und diese dann leise für sich benennen. Das schafft schon mal ein wenig Abstand.

    Vielleicht schreibe ich mal einen Blog-Artikel über die „… und es ist okay“ Übung, die auf die bedingungslose Akzeptanz abzielt.

    Viele Grüße
    Michael Schramm


  3. Kommentar von Michael Schramm - 3. Oktober 2019 um 6:31

    Hallo Michaela,

    danke für Ihre Fragen, die wertvoll für mich sind, da sie mich zum Nachdenken anregen.

    Am leichtesten fällt mir die Antwort auf die Frage, ob Gefühle eine biochemische Reaktion im Körper sind oder durch Erfahrungen, Erziehung und Erwartungshaltung und Bewertung ausgelöst werden. Nun, ich denke, das eine schließt das andere nicht aus, beides ist richtig. Wir sind nicht Körper oder Geist. Beides hängt zusammen.

    Überlegen Sie mal: Die Begriffe „Bürostuhl“ und „Schreibtisch“ gehören nicht zur gleichen Kategorie wie „Esstisch“ und „Esszimmerstuhl“. Alles findet sich aber in der übergeordneten Kategorie „Möbel“ wieder.
    Ähnlich verhält es sich mit den von Ihnen genannten Begriffen „biochemische Reaktion“, sowie „Erfahrung“ und „Erziehung“ und weiter „Erwartungshaltung“ und „Bewertung“. Sie alle gehören zum System „Mensch“; „Biochemische Reaktion“ jedoch zu einer Kategorie „Körper“, während „Erfahrung“ und „Erziehung“ Begriffe aus der Sprache der Pädagogik sind und „Erwartungshaltung“ und „Bewertung“ für mich wiederum irgendwie zu einer anderen Kategorie zuzuordnen sind.

    Ich hoffe, ich konnte begreiflich machen, was ich meine …

    Auf Ihre anderen Fragen gehe ich in den nächsten Tagen ein.

    Viele Grüße
    Michael Schramm


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