Psychotherapiepraxis Nürnberg, Eckental
Psychotherapie Nürnberg

Dienstag, 19 November, 2019

Psychotherapie der Rollenkonflikte

Psychotherapie, Rollenkonflikte

„Freut mich zu hören, dass Du auch Familienvater bist“ schrieb mir ein alter Bekannter, nachdem ich ihm in einer Email von meinen beiden Kindern erzählt hatte. Im ersten Moment war ich erstaunt. Als „Familienvater“ hatte ich mich bisher noch nie gesehen. Obwohl ich mich verantwortlich für Lebensgefährtin und deren Kinder fühle, klang der Begriff „Familienvater“

trotzdem ungewohnt. Der Austausch mit dem Freund inspirierte mich dazu, über soziale Rollen zu philosophieren.

Der Begriff „soziale Rolle“ wurde in der Soziologie dem Theater entlehnt und definiert sie als die Gesamtheit der einem gegebenen Status zugeschriebenen „kulturellen Modelle“. Mit einer sozialen Rolle sind demgemäß bestimmte Rollenerwartungen, Werte, Handlungsmuster und Verhaltensweisen verknüpft. Je nachdem, welche Rollen ein Individuum von seinem Gegenüber und der Gesellschaft zugewiesen bekommt, erlernt und verinnerlicht, stehen ihm bestimmte Handlungsspielräume offen.

Die Probleme, die Menschen dazu bewegen, die Hilfe eines Psychotherapeuten aufzusuchen, lassen sich oft als Rollenkonflikte interpretieren. Die Betroffenen merken, dass sie die unterschiedlichen Erwartungen nicht erfüllen können, die an sie aufgrund ihrer sozialen Rolle gestellt werden. Zum Beispiel erwarten die Patienten von einer Pflegekraft, dass diese sich Zeit für sie nimmt und auf ihre Bedürfnisse eingeht. Die Geschäftleitung des Pflegeheims erwartet von der Pflegekraft jedoch, dass sie in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Patienten pflegt. Die Pflegekraft befindet sich in einem Intrarollenkonflikt, wenn sie beiden Erwartungen auf die gleiche Weise gerecht werden will.

Eine andere Art Konflikt ist der Interrollenkonflikt. Zu diesem kommt es, wenn der Betroffene verschiedene Rollen inne hat, aus denen sich widersprüchliche Erwartungen ergeben. Zum Beispiel ist die Ehefrau sauer, wenn ihr Mann am Wochenende arbeitet, dies aber vom Arbeitgeber verlangt wird.

Noch verzwickter kann es werden, wenn an einen Betroffenen von ein und derselben Person verschiedene Rollen herangetragen werden. Er muss zum Beispiel in den Augen seiner Frau einerseits als „Ernährer“ Geld verdienen, gleichzeitig aber auch als „liebender Ehemann und Vater“ Zeit mit der Familie verbringen.

Um dem Hamsterrad zu entkommen und einen Burn-Out zu verhindern, kann es hilfreich sein, verinnerlichte Rollenbilder mithilfe eines Psychotherapeuten zu hinterfragen. Die Fähigkeit, Rollen flexibel einzunehmen und sich situationsabhängig wieder von ihnen lösen zu können, bewahrt vor Überforderung. Menschen, die dies nicht können, klagen in der Psychotherapie häufig darüber, dass sie zu wenig Zeit haben für das, was ihnen Kraft und Freude gibt und sie lebendig hält. Sie fühlen sich ausgebrannt, leiden unter Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Magen- und Darmbeschwerden und anderen Symptomen und sind einem Burnout nahe.

Unter sprachphilosophischer Betrachtungsweise handelt es sich bei Rollenkonflikten um Probleme mit der Sprache. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Er meint damit, dass wir nicht unabhängig von Begriffen denken können. Begriffe prägen uns, unsere Sprache bestimmt unser Weltbild und somit indirekt auch unser Handeln.

Bei den Rollenbezeichnungen handelt es sich oftmals um nominalisierte Verben. Wörter, die eine vorübergehende Tätigkeit beschreiben, werden durch Nominalisierung nicht nur zu feststehenden Eigenschaften, sondern quasi zu einer Person, die auf eine ganz bestimmte Weise zu funktionieren und zu sein hat. So wird aus jemanden, der gerade Essen kocht, ein Koch. Aus jemanden, der arbeitet, wird ein Arbeiter. Aus einem Menschen, der Unterricht hält, ein Lehrer. In dem Moment, in dem ich mich mit solch einer Zuschreibung fest identifiziere, schränke ich meinen Handlungsspielraum ein.

Für mich war es eine interessante Erfahrung, die eigenen Identifikationen zu hinterfragen und loszulassen. Ich spürte auf einmal ein großes Gefühl der Freiheit. In dem Moment, in dem ich kein Sportler mehr bin, kann ich mich ganz nach Lust und Laune bewegen. Wenn ich mich nicht als Musiker betrachtete, kann ich singen, wann es mir beliebt und muss die Töne nicht richtig treffen. Ich brauche nicht üben, sondern einfach nach belieben spielen. Als ich aufhören konnte, Tontechniker zu sein, war ich fähig, Spaß an anderen beruflichen Tätigkeiten zu entwickeln. Wenn ich aufhöre, mich mit der Rolle eines Sohnes zu identifizieren, muss ich mich nicht nach den Regeln und Normen meiner Eltern richten, sondern kann nach meinen eigenen Wertvorstellungen leben. Und wenn ich kein „Mann“ sein muss, muss ich nicht die Zähne zusammenbeißen, sondern darf „Schwäche“ zeigen und weinen.

Noch ein Gedanke: Einen anderen Menschen auf eine bestimmte Rolle zu reduzieren hat zur Folge, dass es leichter ist, sich von ihm zu distanzieren und eine Grenze zwischen mir und dem anderen zu errichten. Wenn es uns gelingt, den Menschen hinter seiner Funktion zu sehen, dann gibt es weniger trennendes zwischen uns. Dann ist der Polizist, der Politiker, der Ausländer vor allem eines: Ein Mensch wie ich.



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